Es gab keine Alternative: Die Europäische Union braucht einen geordneten “Brexit” noch mehr als Großbritannien
Beide Seiten wussten, dass es keine Alternative zu einem anständigen Miteinander geben würde, wollte man den Kontinent nicht durch zu viel Sturheit in eine Krise stürzen. Dabei braucht die Europäische Union einen geordneten “Brexit” noch mehr als Großbritannien. Denn während die Briten durch ihre enge Allianz mit den Vereinigten Staaten und den schier unerschöpflichen Nachschub an Arbeitskräften aus den Commonwealth-Staaten relativ unabhängig von den Launen Europas sind, schmerzt Brüssel der Verlust eines der größten EU-Nettozahler ebenso sehr wie der Wegfall von mehr als 66 Millionen Einwohnern, was nicht nur die Gesamtbevölkerung der Europäischen Union auf unter 450 Millionen drückt, sondern auch den Verlust enormer Wirtschaftskraft bedeutet. Brüssel wird zudem alle Hände voll zu tun haben, Nachahmer daran zu hindern, denselben Weg einzuschlagen. Nicht nur Italien könnte sich ermuntert fühlen, seine Bürger über einen Austritt abstimmen zu lassen. Es wird umfassende EU-Reformen geben müssen, um sich auf die ursprüngliche Idee der Friedenssicherung zu besinnen und die Bürger Europas wieder zusammenzuführen. Das Gequatsche über zusätzliche europaweite Steuern oder eine immer weitere Vergemeinschaftung von Bankenschulden ist dafür sicher der falsche Ansatz. Ebenso wenig hilfreich ist eine Hinterzimmerpolitik, die schon heute dafür sorgt, dass die nationalen Parlamente nur noch zur Kenntnis nehmen können, was zwei Dutzend Staats- und Regierungschefs in nächtlichen Sitzungen in Brüssel vereinbart haben.
Während Deutschland eine Rezession droht, ist die britische Wirtschaft im dritten Quartal um 0,6% gewachsen
Großbritannien startet gesund und munter in den “Brexit” – sehr zum Verdruss der deutschen Medien und weiter Teile der politische Kaste. Allen Unkenrufen zum Trotz hat sich der Arbeitsmarkt prächtig entwickelt, wobei vor allem Einheimische im Niedriglohnsektor wieder Anschluss finden. Dazu verharrt die Inflation trotz deutlich gestiegener Ölpreise auf dem Niveau des Jahres 2017, weil – anders als im Euro-Raum – die Bank of England nur die eigene Volkswirtschaft im Blick haben muss, und nicht viele unterschiedliche Konjunkturverläufe, wie die Europäische Zentralbank, die die Situation nur durch die unentwegte Ausweitung der Geldmenge halbwegs im Griff behält. Während Deutschlands Sparer einen negativen Realzins von -2,5% verkraften müssen, hält sich dieser für die Briten mit -1,5% einigermaßen im Rahmen. Als wäre dies nicht genug, droht Deutschland demnächst eine Rezession. Von dieser spricht man, wenn eine Volkswirtschaft in mindestens zwei aufeinanderfolgenden Quartalen schrumpft. Für das dritte Quartal stehen -0,2% zu Buche, es kommt nun also darauf an, wie sich die Wirtschaftskraft hierzulande bis zum Jahresende entwickelt. Großbritannien hat demgegenüber – für viele überraschend – im dritten Quartal um 0,6% zugelegt. Die Briten strotzen vor Kraft – nicht trotz des “Brexits”, sondern wegen der Vorfreude darauf. Und auf der Insel wird es sicher auch in Zukunft Nahrungsmittel, einen funktionierenden Flugverkehr sowie eine Arzneimittelversorgung geben. Die beleidigten Leberwürste im Medien- und Politikbetrieb wird dies jedoch nicht davon abhalten, das nächste Schwächeln der britischen Wirtschaft auf den “Brexit” zu schieben. Die Europäische Union, sie lebe hoch, hoch, hoch!